Was ist gutes artgerechtes Lernen/Training?

Frag 10 Trainer und Du bekommst 10 verschiedene Antworten.

Je nachdem welche Theorien zu Grunde gelegt werden, unterscheiden sich die Methoden mehr oder weniger stark.
Auf jeden Fall unterscheiden wir zwei völlig verschiedene Ansätze. Erstens die Erziehung über Strafe und zweitens die Erziehung über Belohnung.
Wir setzen fast vollständig auf Erziehung über Belohnung. Das Mittel der Wahl gegen unerwünschtes Verhalten sind in unserer Hundeschule zum Beispiel Erzeugung von Frust oder Entzug von Belohnungsmöglichkeiten. Diese werden nur in bestimmten vereinzelt auftauchenden Situationen verwendet.

Was ist aber nun artgerechtes Training?

 Erlauben Sie mir einen kurzen Ausflug darüber wie lernen in der Natur funktioniert.

Hunde sind gesellige Säugetiere, wie wir auch. Hunde, wie auch Wölfe, leben in Familienverbänden, gemeinhin als Rudel bezeichnet. Es gibt auch Gruppen nicht verwandter wilder Hunde. Jedoch können diese nicht als Rudel oder Familie bezeichnet werden.

Es gibt in jeder Gruppe einzelne Hunde, die geborene Anführer sind. Diese Anführer zeichnen sich durch Selbstsicherheit und Umsicht aus. Veranlagung und Erfahrungen machen sie zum Anführer.
Weniger selbstsichere Individuen und junge Tiere ordnen sich solchen Anführern gern unter. Sie folgen ihm freiwillig.

In Familien der Hunde sind naturgemäß die Elterntiere die Anführer. Einfach weil sie älter und erfahrener sind. Ihren Jungen fehlt die Erfahrung. Sie folgen gern.
Geschlechtsreif gewordene Junge, sondern sich von dem Familien immer mehr ab.
Mit zwei Jahren werden sie erwachsen. Dann verlassen sie die Familie um eine eigene Familie zu gründen.
Bis es soweit ist, lernen sie von und mit den anderen Mitgliedern der Gruppe. Aber was lernen sie? Vieles von den Dingen, die sie im späteren Leben benötigen. Das sind Verhaltensmuster, welche in den Genen hinterlegt sind. Das sind sich mit Artgenossen verständigen, jagen, sich verteidigen, sich pflegen und sich vermehren.

Diese Dinge lernt unser Hund zu Hause von allein, sofern wir nicht gegensteuern.
Was wir aber von den Hunden verlangen, ist sehr weit von den natürlichen Anlagen des Hundes entfernt, so dass wir…

Fortsetzung

… uns etwas einfallen lassen müssen, wie wir ihm zeigen, was wir wollen. Durch Zucht für bestimmte Aufgaben, bekommt der Hund Verhaltensmuster mit, die er gern und freiwillig zeigt, weil sein Körper ihn dafür belohnt.

Sehr oft schaffen sich Menschen aber Hunde an, weil ihnen die Optik gefällt. Beispiel Bordercollie: Ihm wurde durch Zucht das Hüten in die Wiege gelegt. Das macht dieser so gern, dass er dafür keine Belohnung benötigt. Die Belohnung übernehmen die körpereigenen Botenstoffe. Diese sind sehr mächtig. Es ist das Belohnungssystem der Tiere und auch Menschen. Es diente dem Überleben. Möchte der Besitzer dem Bordercollie das Hüten abgewöhnen, weil es kein passendes Verhalten im aktuellen Lebensumfeld ist, muss er ähnlich gute Belohnungsmöglichkeiten anbieten können.

Anhänger einiger Erziehungskonzepte sagen nun, man muss nur der Ranghöchste, das Alphatier sein und man kann dem Hund sein unpassendes Verhalten verbieten. Das klappt immer wieder (nicht immer) durch massive Einschüchterung des Hundes. Das hat aber überhaupt nichts mit dem Verhalten eines guten Anführers zu tun und schon gar nicht mit dem natürlichen Verhalten in einer Hundegruppe.

Versuchen sie sich einmal vorzustellen, dass ein Anführer einer Hundegruppe zu einem Mitglied der Gruppe hingeht und ihn körpersprachlich oder mit Lauten das Buddeln nach einer Maus verbietet und auffordert weiter zu gehen. Komisch oder? Was gut möglich und vorstellbar wäre, dass der Anführer die Maus für sich selbst haben möchte und den anderen Hund weg droht. Aber da kommt ein weiterer Faktor ins Spiel. Jeder Hund ist sich selbst der Nächste. Ressourcen, und dazu gehört z.b. die Maus, sicherten in der Entwicklungsgeschichte das eigene Überleben. Wenn zwei Hunde die gleiche Ressource beanspruchen, wägen sie Risiko und Nutzen ab. Ist ein Anführer nicht sehr hungrig, dafür aber der, der gerade nach der Maus buddelt, dann wird sich der Anführer abwenden, wenn er merkt, dass dem anderen Hund die Maus sehr wichtig ist. Schließlich ist die Gefahr in einem Kampf verletzt zu werden, sehr groß.

Anhänger der Dominanztheorie begründen das Training ohne Leckerchen auch so, dass der Rudelführer sein Fressen auch nicht mit anderen teilt. Das ist in Familienverbänden nicht so. Dort würgt er, der Rudelführer, seinen Welpen Futter hervor, das er sich beim Jagen erarbeitet hat. Das ist nicht als Belohnung gedacht, aber er tut es.

Kommen wir dazu, warum ein Hund irgendetwas tut. Ein Hund wiederholt ein Verhalten, wenn es sich gelohnt hat. Er lässt ein Verhalten sein, wenn er merkt, dass es sich nicht lohnt oder negative Konsequenzen folgen. Weiterhin hält er sich von Dingen und Lebewesen fern, die ihm Angst machen.

In Hundegruppen oder Familienverbänden lohnt es sich, bei der Gruppe zu bleiben, weil damit größere Beute erlegt werden kann oder z.b. die Gruppe sich besser verteidigen kann.

Würden wir in den einsamen Weiten Alaskas leben, dann würden wir keinen Rückruf und Leinenführigkeit üben müssen. Der Hund würde, sofern ihm unterwegs nichts passiert, immer wieder zu uns zurückkommen. Das würde er auch in einer Großstadt. Nur dort gibt es für den Hund völlig unverständliche Regeln und wir als Besitzer würden sehr schnell Probleme bekommen, wenn sich unser Hund seiner Natur nach verhalten würde.

Wir müssen ihm Verhalten beibringen, das zu den Regeln der menschlichen Gesellschaft passt. Allein das ist schon nicht artgerecht. Nebenbei gesagt das auch beim willkürliche Zusammensetzen von Hunden der Fall. In freier Natur haben Hunde die Möglichkeit, wenn er den anderen nicht „riechen“ kann, sich woanders nieder zu lassen. In menschlicher Obhut ist dies nicht möglich.

Wir wünschen uns vom Hund ein nicht artgerechtes, aber in unsere Gesellschaft passendes Verhalten. Da dies oft kein angeborenes Verhaltensmuster, wie im Beispiel des Bordercollies erwähnt, ist und der Hund sich durch dieses Verhalten oft nicht selbst belohnen kann, müssen wir ihm die Belohnung geben. Ich erinnere daran, dass nicht lohnendes Verhalten auf Dauer nicht mehr gezeigt wird.

Was kommt als Belohnung in Frage?
Alles was der Hund gern hat. Das kann Futter sein, sofern er nicht völlig satt ist. Das kann die Nähe zum Besitzer sein und vieles mehr. Wichtig ist deren Wertigkeit im Augenblick der Gabe der Belohnung. Ist ein Hund hungrig, dann tut er (aber nicht alle Hunde) alles für seinen Besitzer. Er ist motiviert, sich die Futterbelohnung zu erarbeiten. Ist er gerade satt und möchte nun mit dem Besitzer auf der Couch kuscheln, ist das eine bessere Belohnung als das Futter.

Die meisten Hunde mögen Futter als Belohnung und es ermöglicht hohe Wiederholfrequenzen beim Training. Daher setzen wir gern Futter beim Training ein. Es macht für das Lernen einen Unterschied, ob in 30 min eine Übung 10mal gemacht wurde oder nur 3mal. Wichtig ist beim Training mit dem Futter oder besonderen Leckerchen, dass dieses nicht mit zum Signal für den Hund wird.

Warum wir Strafen nicht einsetzen und dringend davon abraten.

Strafen müssen, damit sie die erwünschte Wirkung zeigen können, beim Gedanken des Hundes an das falsche Verhalten erfolgen, zumindest aber innerhalb von max. 2 Sekunden. Damit ist klar, dass eine Bestrafung wegen unerwünschtem jagen nicht beim Zurückkommen gegeben werden kann, denn damit würde man das Zurückkommen zum Besitzer bestrafen.
Strafen müssen immer so stark wirken, dass sich der Hund nicht daran gewöhnen kann und sie müssen immer beim Fehlverhalten angewendet werden.

Da diese Voraussetzungen für das praktische Training im Alltag kaum anwendbar ist, ist sie auch nicht wie gewünscht wirksam.
Hinzu kommt die Gefahr der Fehlverknüpfung bei Strafen. Bekommt der Hund eine Strafe in dem Moment, indem etwas anderes (z.b. ein Kind auf dem Fahrrad) seine Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt, kann die Strafe mit dem Kind auf dem Fahrrad verknüpft werden. Es ist dann möglich, dass der Hund beim Anblick von Kindern auf dem Fahrrad mit knurren beginnt oder weglaufen will. Er hat gelernt, dass Kinder auf dem Fahrrad schlecht für ihn sind.

Manche Trainer praktizieren den Leinenruck, dem Hund in die Seite stupsen oder treten oder sonst irgendwelche Möglichkeiten, um ihn wieder auf sich aufmerksam zu machen. Das Problem an dieser Praxis ist, neben der eventuellen Fehlverknüpfung, die Erregungslage des Hundes.
Hohe Erregung ist in vielen Fällen ein Zeichen für Alarmbereitschaft. Es werden Verhaltensmuster für das Überleben eingesetzt und es ist kaum noch Platz für die antrainierten Verhaltensmuster, die der Mensch wünscht. Alarmbereitschaft ist Stress für den Körper. Es werden Stresshormone ausgeschüttet und lassen einen Hund schneller ängstlich oder aggressiv reagieren. Diesen Streß verknüpft der Hund mit dem Auslöser und sie lassen ihn beim nächsten Mal noch eher die Alarmbereitschaft und damit die Erregung auslösen.

Oft sieht man Besitzer, die ihren hocherregten Hund anschreien oder körperlich bedrohen, damit er in erregenden Situationen gehorcht. Der Hund gehorcht dann auch tatsächlich. Aus zwei Gründen. Die Lautstärke und der ungewohnte Ton lassen den Hund eine stärkere Gefahr wahrnehmen und darauf reagieren und er wird gelernt haben, dass der Besitzer mit dem Schreien aufhört, wenn er tut, was er verlangt. Vorausgesetzt natürlich, der Hund kennt die Kommandos.